Pandemieleugner*innen: Neue Dynamik der Mobilisierung

Am vergangenen Samstag, den 11. Dezember 2021, versammelten sich mehrere Tausend Menschen auf dem Düsseldorfer Johannes-Rau-Platz zu einer Kundgebung mit daran anschließender Demonstration. Die Veranstaltung richtete sich laut Ankündigungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und eine mögliche allgemeine Impfpflicht.
Mobilisiert wurde hierfür in verschiedenen sozialen Netzwerken, etwa beim Messengerdienst Telegram, sowie über andere Kanäle.
Die Demo wurde auch vom Düsseldorfer Kreisverband der AfD in einem eigenen Aufruf beworben.

Von „Corona Rebellen Düsseldorf“ über „Querdenken 211“ zu „APO Düsseldorf“

Organisiert und angemeldet wurde die Veranstaltung unter anderem von Ingo Marks aus dem Rhein-Sieg-Kreis.
Spätestens ab Sommer 2020 war Marks eine feste Größe bei den „Corona-Rebellen Düsseldorf“ (CRD), von denen er sich nach internen Meinungsverschiedenheiten im vergangenem Herbst trennte, um fortan gemeinsam mit Michael Schele (DJ und „Querdenken“-Akteur aus dem südöstlichen Ruhrgebiet) bei „Querdenken 211“ (QD211) eigene Wege zu gehen. In der Landeshauptstadt werden seit Ende Dezember 2020 samstägliche Protestveranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen, zumeist mit Aufzügen, von Marks angemeldet.
Doch Marks ist kein Newcomer, sondern seit mehreren Jahren in verschiedenen Konstellationen der extremen Rechten aktiv. Beispielsweise beteiligte er sich an einem Aufmarsch der extrem rechten Gruppierung „Wir für Deutschland“ am 3. Oktober 2019 in Berlin. Zahlreiche Neonazis – darunter ein aggressiver Demo-Block der „Bruderschaft Deutschland“ sowie Mitglieder der rechtsterroristischen „Gruppe S.“ – hatten an diesem Aufmarsch teilgenommen.

Ingo Marks (mit Hut) am 3. Oktober 2019 beim extrem rechten "Wir für Deutschland"-Aufmarsch in Berlin ©Igor Netz

In den vergangen Wochen wurde das stark mit Michael Schele, der sich in den letzten zwei Wochen lieber in Wien bzw. Hamburg betätigte, assoziierte Label „Querdenken 211“ zunehmend vermieden und auf eine genaue Benennung der organisierenden Gruppe verzichtet. Wenige Tage vor der Kundgebung zeichnete sich eine neue Umbenennung in „APO Düsseldorf“ (APO-D) ab. Diese Gruppe wurde am 11. Dezember 2021 vom Mönchengladbacher „dieBasis“-Mitglied Mona Aranea bei der Auftaktkundgebung genannt.

Ein Zehnfaches

Das Demonstrationsgeschehen am 11. Dezember 2021 war von Anfang an äußerst unübersichtlich. War laut Medienberichten ursprünglich von 300 angemeldeten Teilnehmer*innen ausgegangen worden, wurden schließlich rund 3.000 Menschen zu Beginn des Umzugs gezählt. Spätere Zählungen im Verlauf der Demonstration nennen sogar 5.000 bis 6.000 Teilnehmer*innen.
In mehreren Reden während der Auftaktkundgebung am Johannes-Rau-Platz wurden krude Verschwörungserzählungen thematisiert. So wurde gegen „Eliten“ polemisiert und das antisemitisch fundierte Verschwörungsnarrativ der NWO („Neue Weltordnung“) bedient. Ein Redner warb außerdem für Donald Trumps angekündigte Social-Media-Plattform.
Die Polizei wirkte angesichts der großen Menge völlig unvorbereitet. Entsprechend leicht war es für Demonstrationsteilnehmer*innen, konsequent gegen Hygiene- und Versammlungsauflagen zu verstoßen. Kaum jemand trug eine Maske, niemand hielt den Mindestabstand ein, obwohl ein Großteil der Versammlungsteilnehmer*innen ungeimpft sein dürfte. Konsequenzen hatte das für den Demoablauf nicht.
Bereits in der Vergangenheit zeigte die Düsseldorfer Polizeiführung bei ähnlichen Veranstaltungen eine gewisse Passivität, obwohl die amtierende Landesregierung eine extrem repressive Verschärfung des NRW-Versammlungsgesetzes auf den Weg gebracht hat, die am 15. Dezember 2021 verabschiedet wurde.1 2

Fackelmarsch durch die Altstadt

Bei den Demonstrierenden handelte es sich hauptsächlich um augenscheinlich nicht organisierte „Wutbürger*innen“. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht andere, neue Personengruppen angezogen hat.
Die bekannten, CRD und/oder QD211 nahestehenden Pandemieleugner*innen, die seit etwa 20 Monaten wöchentlich in Düsseldorf gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“ protestieren, machten nur einen Bruchteil der Veranstaltung aus. Die sehr heterogen wirkende Demonstration kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die extreme Rechte bei den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Düsseldorf von Beginn an eine relevante Rolle einnimmt.
Hinzu kamen am 11. Dezember 2021 noch einige Akteur*innen aus verschiedenen rechten Spektren: So traten etwa die AfD-Europa- und Landtagsabgeordneten Guido Reil und Iris Dworeck-Danielowski, der Rechtsanwalt Björn Clemens mit Kanzlei in Düsseldorf-Flingern, die verurteilte Holocaustleugnerin Birgit Hutter, der Elleraner Neonazi Sascha Vasic von der „Bruderschaft Deutschland“, der neurecht-libertaristische Blogger Miró Wolsfeld sowie die Reichsbürger Josef Hoffmann und Sascha Vossen in Erscheinung.
„Corona Rebell“ Sascha Vossen, der sich seit Jahren als Rapper versucht, verbreitete während der Demo NS-Relativierungen und antisemitische Verschwörungserzählungen. Auch war Vossen einer von mehr als ein Dutzend Fackelträger*innen, die am Kaufhaus an der Königsallee und an der Mahn- und Gedenkstätte vorbeimarschierten. An letzterer wurde ein Aufkleber hinterlassen, der 2G- und 3G-Pandemieschutzmaßnahmen mit dem zunehmenden Ausschluss von Jüdinnen*Juden aus dem öffentlichen Leben Deutschlands ab 1933 gleichsetzt und so den Holocaust relativiert.

Weitere geplante Veranstaltungen im NRW-Hotspot Düsseldorf

Für den 16. Dezember 2021 wird zu einer Kundgebung gegen eine vermeintliche „Impfpflicht von Kindern“ vor dem Landtag aufgerufen. Organisiert wird die Veranstaltung von einem Folgeprojekt einer Gruppe der „Identitären Bewegung“. Dabei handelt es sich um die von Reinhild Boßdorf gegründete Fraueninitiative „Lukreta“. Das AfD-Mitglied Boßdorf aus dem Rhein-Sieg-Kreis gilt als Influencerin der „Neuen Rechten“ und soll bei der Kundgebung am Donnerstag als Rednerin auftreten. Hier werden einmal mehr die Schnittstellen zwischen der AfD und der „Identitären Bewegung“ in Nordrhein-Westfalen deutlich.3
Als weitere Redner*innen dieser Veranstaltung werden u.a. die bereits erwähnten Iris Dworeck-Danielowski und Miró Wolsfeld angekündigt.
Beworben wird die Kundgebung von der AfD wie z.B. dem lokalen Kreisverband und dem Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich, diversen Pandemieleugner*innen und Personen aus der „Neuen Rechten“.

Bereits bei der Abschlusskundgebung am 11. Dezember 2021 wurde auf der Bühne sowie am gleichen Abend in diversen Telegram-Gruppen dazu aufgerufen, am 18. Dezember erneut nach Düsseldorf zu fahren, so dass für den Tag eine weitere „Großdemo“ zu befürchten ist. Aus Sicht der Teilnehmer*innen und im Vergleich zu den 250 Teilnehmer*innen am 4. Dezember 2021, verlief die Demonstration am 11. Dezember erfolgreich. Nur am 20. September 2020 fand in Düsseldorf eine ähnlich gut besuchte Veranstaltung von Corona-Maßnahmengegner*innen statt.
Das am 17. Dezember in Nordrhein-Westfalen erstmalig zur Verfügung stehende Impfangebot für Kinder zwischen fünf und elf Jahren, das von Impfgegner*innen, Pandemieleugner*innen und Verschwörungsgläubigen in die oben genannte angebliche „Impfpflicht für Kinder“ umgedeutet und emotional aufgeladen wird, könnte ein hohes Protestpotenzial entfachen. Daher ist eine ähnlich hohe oder sogar höhere Teilnehmer*innenzahl möglich. Extrem rechte Gruppen und Parteien wie z.B. die Düsseldorfer Kreisverbände der AfD und der „Die Republikaner“ mobilisieren für den 18. Dezember 2021 zum Johannes Rau-Platz.

Fazit/Einschätzung

Veranstaltungen, bei denen Inhalte und Auftritte der extremen Rechten toleriert werden, wirken im Falle eines quantitativ bedeutsamen Verlaufs attraktiv auf das gesamte Rechtsaußen-Spektrum. Demnach könnte die Beteiligung neonazistischer Gruppen und Personen am Samstag zunehmen.
Die Demonstration vom 11. Dezember 2021 kann als Ausdruck einer weiter verstärkten Protestdynamik gegen die Corona-Schutzmaßnahmen interpretiert werden. Die meisten Teilnehmer*innen der Demonstration waren keine erkennbaren Neonazis oder andere extrem rechte Akteur*innen, sondern vor allem agitierte Wutbürger*innen aus einer enthemmten „extremen Mitte“. Gerade vor dem Hintergrund bereits evidenter Diskursverschiebungen, die schon in früheren („Mitte“)-Studien dokumentiert wurden, sollten die neuen und wiederholten Grenzüberschreitungen „normaler“ Bürger*innen mit Aufmerksamkeit verfolgt werden.4 Die Formation eines gesellschaftlichen Rollbacks aus verschiedenen antiaufklärerischen Milieus und individualistisch-libertaristischen Akteur*innen greift die Grundmauern eines solidarisch-emanzipatorischen Zusammenlebens an und ist zudem anschlussfähig für die extreme Rechte, die keineswegs das Grundgesetz verteidigen möchte, sondern einen Systemsturz anstrebt. Auch die Passivität der Polizei sowie fehlender zielgerichteter Gegenprotest sind in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen.
So würde sich eine weitere Großdemonstration nicht nur auf das Infektionsgeschehen fatal auswirken.

  • [1] https://www.zeit.de/news/2021-04/17/corona-leugner-demonstrierten-in-duesseldorf[zurück]
  • [2] https://www1.wdr.de/nachrichten/corona-querdenken-demo-duesseldorf-104.html[zurück]
  • [3] https://identitaereinbochum.noblogs.org/die-afd-und-ihr-neurechtes-vorfeld-am-beispiel-identitaerer-in-der-afd-nrw/[zurück]
  • [4] https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=65543&token=be951e80f3f538cca04a67567b9da4b995a93c64[zurück]
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